• Sichern Sie mögliche Schwachstellen Ihrer Wohnung wie Eingangstüren, Balkontüren, Terrassentüren, Fenster oder Kellerzugänge durch den Einbau von geprüfter und zertifizierter Sicherungstechnik. Gut gesicherte Türen und Fenster aufzuhebeln kostet den Täter Zeit und verursacht Lärm.
• Verschließen Sie immer Ihre Wohnungstüre, auch wenn Sie nur kurz weggehen. Eine nur ins Schloss gezogene Tür öffnet der Täter in Sekundenschnelle.
• Halten Sie die Hauseingangstür in Mehrfamilienhäusern tagsüber geschlossen. Prüfen Sie vor dem Drücken des Türöffners, wer ins Haus will. Lassen Sie nur Personen herein, die zu Ihnen wollen oder die bekanntermaßen „ins Haus gehören“.
• Lassen Sie bei Wohnungstüren mit Glasfüllung niemals innen den Schlüssel stecken.
• Vermeiden Sie es, Schlüssel draußen zu verstecken, um sich etwa bei einem unfreiwilligen Aussperren helfen zu können. Denn Fakt ist: Einbrecher kennen fast jedes Versteck.
• Sollten Sie Ihren Schlüssel zusammen mit Hinweisen auf ihren Wohnort verloren haben, wechseln Sie unverzüglich den Schließzylinder aus.
• Verschließen Sie Fenster, Balkon- und Terrassentüren, auch wenn Sie nur kurz weggehen. Gekippte Fenster sind offene Fenster.
• Sichern Sie Fenster und Balkontüren in den oberen Stockwerken, da Einbrecher manchmal wahre Kletterkünstler sind. Leitern, Gartenmöbel, Kisten, Mülltonnen, Rankgerüste usw. können als Kletterhilfen dienen.
• Lassen Sie Rollläden nur nachts herunter, sonst entsteht tagsüber der Eindruck, die Bewohner seien nicht da.
• Verschließen Sie stets Türen von Kellern und Dachböden.
• Kellerlichtschächte und Kellerfenster sollten Sie mit massiven, gut verankerten Gittern oder Gitterrosten sichern lassen.
• Lassen Sie Ihre Wohnung oder Ihr Haus bei längerer Abwesenheit durch Verwandte, Bekannte, Nachbarn oder gegebenenfalls „Haushüter“ bewohnt erscheinen: Briefkasten leeren, Rollläden, Vorhänge, Beleuchtung, Radio und Fernseher sollten unregelmäßig betätigt werden.
• Verzichten Sie auf eine Mitteilung über Ihre Abwesenheit auf dem Anrufbeantworter.
• Informieren Sie Ihre Nachbarn über den Einsatz von Zeitschaltuhren für Rollläden, Beleuchtung, Radio etc.
• Lassen Sie Wertsachen nicht offen zu Hause herumliegen.
• Markieren Sie Ihre Wertgegenstände (Gravur, UV-Stifte etc.) eindeutig und notieren Sie die wichtigsten Daten in einer Wertgegenstandsliste. Fotografieren Sie schwer zu beschreibende Gegenstände.
• Bewahren Sie besonders Wichtiges oder Wertvolles wie Dokumente, Sparbücher, Sammlungen, Gold oder Schmuck bei Ihrem Geldinstitut im Schließfach auf.
• Wenn Sie diese Dinge im Haus behalten möchten, bringen Sie sie in einem Tresor unter.
• Achten Sie auf unbekannte Personen oder auf verdächtige Situationen „nebenan“. Alarmieren Sie in Verdachtsfällen sofort die Polizei.
• Lassen Sie sich von Ihrer Polizei beraten.
• Lassen Sie einbruchhemmende Produkte fachgerecht von Unternehmen einbauen, die auf dem Adressennachweis des Landeskriminalamts NRW gelistet sind.
Am Nachmittag des 8. Oktober 2013 landen am Düsseldorfer Flughafen zwei Männer mit kurzen Haaren, drahtigen Körpern und wenig Gepäck. Es ist Herbst in Deutschland. Dichter Nebel tunkt die Republik in ein trübes Grau, die Dunkelheit bricht jeden Tag früher herein. Beste Bedingungen für Männer wie Adnan und Arian. Doch bevor sie in die Saison starten, müssen sie an diesem Dienstagnachmittag ein Problem lösen. Das Problem mit dem Einreiseverbot.
Die beiden Männer sind aus Rubik gekommen, einem 4000-Einwohner-Nest in Albanien. Dort sind sie aufgewachsen, dort haben sie erlebt, wie sich ihr Land aus einer jahrzehntelangen Diktatur befreite, wie Demokratie und Marktwirtschaft einzogen, aber ihre eigenen Leben langweilig blieben, ohne Chancen auf Reichtum und Ruhm. Irgendwann suchten die jungen Männer nach Auswegen. Sie lernten, dass es noch andere Wege gibt an Geld und schnelle Autos zu kommen: Drogendeals und Einbrüche. Solche Dinge.
Am Düsseldorfer Flughafen steuern sie nun die Passkontrolle an. Die erste Hürde zum Reichtum, von dem sie sich mit Schraubenziehern und Brecheisen ihren Anteil klauben wollen. Die jungen Männer wissen, dass ihr Beutezug jetzt scheitern kann, bevor er begonnen hat. Denn gegen sie liegen Einreiseverbote für den Schengen-Raum vor, ausgestellt in Italien. Dort wurden sie beim Dealen geschnappt, saßen Gefängnisstrafen ab.
Der 25-jährige Adnan hat vorgesorgt. Seitdem das Einreiseverbot auf ihm lastet, reist er mit dem Pass seines Bruders durch Europa. Griechenland, Italien – nie ein Problem. Auch der Beamte der Bundespolizei nickt den Pass ab, Adnan ist drin. Dann ist Arian, drei Jahre jünger, dran. Manchmal benutzt er Pseudonyme, aber in Düsseldorf schiebt er seinen echten Pass unter der Glasscheibe durch. Die Polizisten schauen ihn an. Dann halten sie ihn fest.
Auf der anderen Seite der Passkontrolle wartet Tarik auf die Albaner. In den 90ern floh er aus dem heutigen Kosovo vor Diskriminierung und Gewalt nach Deutschland. Er scheiterte in einer Hagener Hauptschule, schlug sich als Kleinkrimineller durch, betrieb zuletzt eine Diskothek. Adnan lernte er vor ungefähr einem Jahr kennen. Der Albaner war ihm damals in seiner Diskothek aufgefallen, selten werfen Gäste in Hagen mit so viel Geld um sich. Die Männer freundeten sich an, Adnan lieh Tarik 6000 Euro, weil die Diskothek schlecht lief. Er erzählte ihm auch, dass er sein Geld mit Einbrüchen verdiene. Als Adnan sich ein paar Monate später für die nächsten Brüche ankündigt, ist Tarik dabei. Er spricht Deutsch und Albanisch. Er wird die Albaner durch NRW lotsen. Und an diesem Tag holt er sie vom Flughafen ab.
Nachdem Tarik erfährt, dass Arian feststeckt, redet er auf die Beamten ein. Er verspricht, Arian sei nur zu Besuch da, nach einer Woche reise er wieder aus. Die Worte verpuffen zunächst wirkungslos. Tarik kutschiert Adnan schließlich mit seinem Audi A8 nach Hagen, dort betrinken die beiden Männer ihr Wiedersehen.
Nur wenige Stunden später klingelt Tariks Handy, ein Bundesbeamter ist dran. Er hat eine frohe Kunde: Auch Arian könne abgeholt werden, trotz Einreiseverbotes. Nach einer Woche, mahnt der Beamte, müsse er aber bitteschön wieder gehen. Auf Anfrage des Handelsblatts bestätigt die Bundespolizei diesen Fall. Die Beamten am Flughafen hätten die Einreise Arians nicht mehr verhindern können. Stattdessen hätten sie wegen der illegalen Einreise Anzeige erstattet – und Arian die Auflage erteilt, bis zum 14. Oktober wieder auszureisen.
Nach dem Telefonat mit dem Bundespolizisten ruft Tarik seinen Kumpel Stefan an. Der hat ein Auto, viel Zeit und soll sie nun zum Flughafen fahren. Tarik selbst ist schon zu betrunken. Außerdem besitzt der Fahrer der Bande ohnehin keinen Führerschein.
Ein paar Stunden später stoßen Adnan, Arian und Tarik in Tariks Wohnung auf die geglückte Einreise an. Bald geht es um die Rollenaufteilung für den anstehenden Beutezug. Adnan und Arian, die sich „Olli“ und „Tolli“ rufen, sollen in die Wohnungen einsteigen. Sie sind jung, sportlich und erfahren im Einbrechen. Tarik, genannt „Molli“, ist für die Einbrüche zu dick, aber er kennt sich in Nordrhein-Westfalen aus. Er wird eine Wohnung besorgen, einen Fahrer und ein Auto organisieren, die Einbruchsrouten austüfteln und Schmiere stehen. Gläser klirren. Am nächsten Tag geht es los.
Als erstes kümmert sich Tarik um die Räuberhöhle. Bei ihm können Adnan und Arian nicht bleiben. Tarik hat zwei kleine Kinder. Dass die zwischen erbeutetem Schmuck, Parfüms und Elektrogeräten rumspringen, hält er für keine gute Idee. Also ruft er seinen langjährigen Kumpel Leano an, der auf einem Schuldenberg sitzt. Hatte der nicht erzählt, sich nun doch mit seiner Freundin ausgesöhnt zu haben und zu ihr nach Wülfrath zu ziehen? Dann müsste die Wohnung am Hagener Hauptbahnhof doch leer stehen.
Tarik, Adnan, Arian und Leano treffen sich in einem Hagener Café und besprechen den Deal. Leano kennt Adnan bereits vom Vorjahr aus Tariks Diskothek. Er weiß, wofür die albanischen Jungs seine Wohnung nutzen werden, aber er willigt ein. Pro Monat soll er 350€ Miete für seine Wohnung erhalten. Noch am selben Tag ziehen Adnan und Arian ein. Noch sechs Tage bis zum ersten Bruch.
»Weiter nächsten Kapitel: Im RauschDie Diebestour beginnt am 15. Oktober 2013. Mit der Dämmerung steigt das albanische Trio in Tariks A8. Am Steuer sitzt Stefan, ein Kleinkrimineller, der von Sozialleistungen lebt, manchmal in Vereinsheime einbricht und sich sonst am liebsten die Zeit beim Formel-1-Schauen vor dem Fernseher vertreibt. Tarik ist der Navigator der Truppe. Er gibt Anweisungen und übersetzt. Adnan und Arian haben Staubschutzmasken, Handschuhe und Schraubenzieher dabei. Mehr brauchen sie nicht. Die Fixkosten sind überschaubar in ihrem Metier.
Was nun folgt, werden sie in den kommenden Wochen wieder und wieder durchexerzieren – wie Fließbandarbeiter, die im Akkord Reifen montieren. Es ist die fein abgestimmte Choreographie einer Diebesbande, ausgetüftelt, um Risiken zu minimieren, Spuren zu verwischen und die Beute in die Höhe zu treiben. Ein erprobtes Muster, mit dem die jungen Männer in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld machen wollen. Ein Businessplan, der Renditen verspricht, von denen rechtschaffende Menschen nur träumen können.
Als Erstes gibt Tarik vor, wo es hingehen soll. Er kennt sich aus, deswegen ist er dabei. Weit weg von der Hagener Räuberhöhle, möglichst mit Autobahnanbindung, das ist die Vorgabe. Die Polizei soll keine Verbindung herstellen können und die Diebe brauchen einen Fluchtweg. An diesem ersten Beuteabend schlägt Tarik Düsseldorf vor. Jenen Ankunftsort der albanischen Diebe, an dem sich die Bundesbeamten am Flughafen so kooperativ gezeigt hatten. Außerdem ist die Landeshauptstadt wohlhabend, gut angebunden und liegt weit genug weg. Stefan drückt aufs Gas.
Gegen 20 Uhr kreuzt der A8 in Düsseldorf-Lierenfeld auf, eine ruhige Wohngegend. In den Städten übernehmen Adnan und Arian das Kommando. Sie kennen das Einbruchs-Geschäft, sie wissen, wo man unentdeckt einsteigen kann. Während Stefan den Wagen durch die Straßen lenkt, scannen Adnan und Arian die Häuserreihen ab. Meistens wählen sie Mehrfamilienhäuser aus, am besten mit Garten, von dort kann man im Schutz der Dunkelheit besonders gut Balkontüren aufhebeln. In Düsseldorf hält der Wagen in der Nähe der Weichselstraße.
Stefan und Tarik bleiben beim Wagen, Schmiere stehen. Adnan und Arian streifen die Handschuhe über, stecken Staubschutzmasken und Schraubenzieher ein. Dann pirschen die drahtigen Männer los. Sie sind wahre Kletterkünstler. Oft gelangen sie über Regenrinnen und Fallrohre auf den Balkon, in Düsseldorf nehmen sie sich das Schlafzimmerfenster vor. Ein paar geübte Griffe, der Schraubenzieher gleitet zwischen Rahmen und Fenster, dann sind Adnan und Arian drin.
In den Wohnungen schieben die Männer als Erstes einen Stuhl unter die Klinke der Wohnungstür. So blockieren sie den Zutritt und werden gewarnt, falls Bewohner überraschend nach Hause kommen. Adnan und Arian wollen jede Konfrontation vermeiden. Ruhig und gezielt durchsuchen sie Schubladen und Schränke, brechen verschlossene Kassetten oder Dosen auf. Dann ordnen sie die Beute, packen – und nichts wie weg.
In der Weichselstraße, dem ersten Einbruch ihrer Serie, kommen sie allerdings nicht weit, die Schlafzimmertür ist verschlossen. Sie sind in dem Zimmer gefangen. Statt die Tür aufzubrechen, durchsuchen die Albaner das Schlafzimmer, ziehen sich zurück und steuern das nächste Haus an. Insgesamt brechen die Männer an diesem Abend drei Wohnungen auf. Der Wert des Diebesguts: 1.900 Euro. Ein mäßiger Start.
In der Konstellation Tarik, Adnan, Arian und Stefan arbeiten die Männer zwei weitere Abende zusammen und erhöhen den Diebesjackpot auf 12.700 Euro. Dann hat Tarik genug und kneift. Der Kosovo-Albaner ist bloß auf Bewährung draußen, ihm wird die Sache zu heiß. Außerdem muss er sich um seine Frau kümmern.
Adnan und Arian nicken die Entscheidung ab. Doch die Saison ist noch jung. Tarik soll von nun an im Hintergrund wirken. Zunächst aber brauchen sie Ersatz, denn mit Tarik fällt auch Stefan als Fahrer weg, er ist auf Tariks Übersetzungen angewiesen. Adnan und Arian grübeln nicht lange bis ihnen Shkodran einfällt. Ein alter Freund aus Rubik, ihrer albanischen Heimatstadt. Shkodran, so überlegen Adnan und Arian, ist bekannt für seine Fahrkünste. Und er träumt schon lange von einem dicken Schlitten. Adnan und Arian rufen Shkodran in Albanien an.
Dort ödet das Leben den 20-Jährigen schon lange an. Zweimal hat er das große Abenteuer bislang im Ausland gesucht, bei seinem Bruder in Griechenland als Barkeeper angeheuert, in Italien auf Baustellen geschuftet. Zweimal ist er gescheitert. Nun wittert er die große Chance. Seine Mutter betreibt in Albanien einen Kiosk, sein Vater arbeitet als Minibusfahrer. Zusammen verdienen sie im Monat 500 Euro. In Deutschland, so raunen Adnan und Arian, könne er so viel an einem Tag holen. In ein paar Wochen hätte er Tausende Euro zusammen. Genug für einen dicken Wagen. Genug für ein gutes Leben. Und die Familie bekommt auch noch etwas ab.
Shkodran überlegt nicht lange. Er ist nicht vorbestraft, Einbrechern wie ihm drohen in Deutschland meist nur Bewährungsstrafen – das hat sich bis in die albanische Provinz herumgesprochen. Das Geld aber bleibt, wenn er es vorher nach Albanien schickt. Ein guter Deal. Obwohl ihn seine Mutter warnt, sagt Shkodran zu. Am 6. November überweist Arian per Western Union dem Cousin Shkodrans 200 Euro nach Albanien. Einen Tag später landet Shkodran in Düsseldorf – und bezieht die Räuberhöhle am Hagener Hauptbahnhof.
In der Zwischenzeit haben Adnan und Arian auch einen neuen Wagen besorgt. Einem Neffen Tariks kaufen sie einen blauen Ford Fiesta ab. Nun haben sie wieder ein Auto und einen dritten Mann. Am nächsten Tag arbeiten sie Shkodran ein. Der Mann lernt schnell.
Am 9. November, einem Samstag, steigen Arian, Adnan und Shkodran gegen 17 Uhr in den Ford Fiesta. Ihre Ziele suchen sie nun im Internet aus, schreiben sie auf Zettel und tippen sie vor Abfahrt in ein Navigationsgerät ein. „Detmold“, schreiben die Diebe, dann geht es los. In den nächsten Wochen brechen sie nach diesem Muster fast jeden Abend von Hagen aus auf. Und es läuft gut für das Trio. Innerhalb eines Monats sammeln sie Diebesgut im Wert von fast 130.000 Euro an. Arian, Adnan und Shkodran sind euphorisiert – bis der Abend des 13. Dezember kommt.
»Weiter nächsten Kapitel: Die Soko Fiesta | «Zurück zum letzten Kapitel: Willkommen in DeutschlandDottendorf ist eine der beliebtesten Wohngegenden Bonns. Am Fuße des Venusberges, in der Nähe zum Regierungsviertel der ehemaligen Bundeshauptstadt, lässt es sich ruhig leben. Doch am Abend des 13. Dezember 2013, wird der beschauliche Stadtteil zum Ort einer Verfolgungsjagd. Der Polizei fällt das erste Teil eines bislang unbekannten Puzzles in die Hände.
Um 20.20 Uhr greift ein Anwohner zum Telefon und wählt den Notruf. Ein blauer Ford Fiesta mit drei Insassen und Hagener Kennzeichen, der so gar nicht ins Stadtbild passen will, kurve durch das Viertel. Der Anrufer vermutet, Einbrecher spähten die Gegend aus.
Wenig später lenken zwei Polizisten ihren Streifenwagen durch Dottendorf. Auf der Rochusstraße entdecken sie den parkenden Fiesta. Hinter dem Steuer sitzt ein Mann. Als die Beamten wenden, gibt der Fiesta-Fahrer plötzlich Vollgas. Er rast Richtung Winzerstraße, biegt unvermittelt links in die Quirinstraße. Der Polizeiwagen klebt mit Blaulicht und dem rot leuchtenden Schriftzug „Stop Polizei“ auf dem Dach an seiner Stoßstange. Der Flüchtige gibt auf.
Um 21.08 Uhr nehmen die Polizisten den Mann fest. Er spricht kein Deutsch, legt einen albanischen Pass vor. Er weist sich als Shkodran P. aus. Im Kofferraum des Wagens finden die Beamten zwei originalverpackte Brecheisen, einen neuen Vorschlaghammer und einen benutzten Akkubohrer. In der Seitentasche der Fahrertür liegt ein gehäkelter Handschuh – er ist vollgestopft mit Goldschmuck. Ein Portemonnaie quillt über mit Bargeld. Die Beamten nehmen den Mann fest. Er ist 21 Jahre alt. Vorstrafen: keine.
Auf der Wache registrieren die Polizisten das mögliche Diebesgut. Es sind mehr als 140 Aservate und mit einem Wert von über 100.000 Euro. Aus Dottendorf und angrenzenden Vierteln melden Bürger, bei ihnen sei eingebrochen worden. Die Beamten leiten ein Verfahren wegen Einbruchdiebstahls ein.
Zunächst aber verhören sie den jungen Mann, den sie gerade im Auto gestellt haben. Während des Verhörs klingelt ständig das Nokia-Handy des Verdächtigen. Es sind immer die gleichen beiden Nummern, die auf dem Display erscheinen. Gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft beantragen die Ermittler, die Handydaten des Gefassten einsehen zu können. Die Netzbetreiber hatten Daten der letzten drei Monate gespeichert, inklusive der Standortkoordinaten der Funkmasten. Weitere Puzzleteile.
Anfang Januar richtet das Kommissariat 34 der Polizei Bonn, das eigens für Einbruchermittlungen geschaffen wurde, die „Soko Fiesta“ ein. Mittlerweile wissen die Fahnder, dass sie nach einer Bande suchen. Ins Visier der Fahnder sind nun auch Adnan und Arian geraten, die beiden Albaner vom Düsseldorfer Flughafen.
Jeder zweite Einbrecher wohnt in Deutschland. Überwiegend sind es Drogenabhängige und Gelegenheitsdiebe, die in ihrem direkten Umfeld in Wohnungen einsteigen, wenn sich zufällig die Gelegenheit bietet. Doch zunehmend machen den Fahndern auch gut organisierte Banden aus Osteuropa zu schaffen. Die Täter kennen die Gesetzeslage und Bedingungen in Deutschland genau. Sie kommen für eine dunkle Jahreszeit – und verschwinden wieder im Ausland.
Der Kriminalhauptkommissar Bernd Junkersfeld ermittelt mithilfe der Verbindungsdaten, wo sich die Verdächtigen in den vergangenen Monaten aufgehalten haben. Er hat Glück. Zu jenem Zeitpunkt speichern die Anbieter die Daten mehrerer Monate. Künftig sind sie verpflichtet, alle Daten nach vier Wochen zu löschen.
Und so hebt der Kripo-Beamte einen wahren Datenschatz: eine Liste mit Funkmasten, in deren Nähe sich die Verdächtigen aufgehalten haben.
Auf einer Landkarte zeichnet er die Aufenthaltsorte ein. Das Bewegungsprofil gleicht er mit allen in NRW gemeldeten Einbrüchen zu den jeweiligen Zeiten ab. Und siehe da: Überall dort, wo die Truppe unterwegs war, finden sich Einbruchsdelikte. Junkersfeld ordnet den Taten DNA-Treffer zu, die die Spurensicherung an den Einbruchsorten sichergestellt hat, ebenso wie Schuhabdrücke – etwa an den Regenrohren, an denen die Täter hochgeklettert waren.
Wertvolle Informationen liefern auch die Straßenverkehrsbehörden, die Junkersfeld mühsam einzeln anschreiben musste. Denn das Trio trat den Fiesta vor allem auf der Rückfahrt ordentlich durch. Die Männer ließen sich ständig blitzen – und lieferten der Polizei gestochen scharfe Fotos, die belegen, wer an den Tatabenden im Auto saß.
Gleichzeitig klickt sich Junkersfeld durch die Profile der Verdächtigen in den sozialen Netzwerken. Die Fotos, die er dort findet, sprechen eine eindeutige Sprache. Spätestens nun weiß Junkersfeld: Er ist auf der richtigen Spur.
»Weiter nächsten Kapitel: Steal hard – play hard | «Zurück zum letzten Kapitel: Im Rausch Wer hart arbeitet, darf auch die Sau rauslassen. Nach dieser Devise verprassen Adnan, Arian, Shkodran und Tarik zwischen den Einbrüchen ihre Beute. Mal geht es zum feinen Fischessen ins Restaurant, mal für teure Whiskeys in die Bar. Auch in Tariks Diskothek kreuzt das Diebes-Trio immer wieder auf. Nach dem Suff fahren die jungen Männer manchmal ins Bordell. Geld für Frauen haben sie jetzt ja genug.
Während ihre Freunde zuhause in Albanien für wenig Geld schuften, protzen Shkodran, Adnan und Arian bei Facebook mit ihrem neuen Reichtum. Seht her, wir haben es geschafft, sagen die Fotos. Wir haben jetzt all das, von dem ihr nur träumen könnt: Parfüm für die Geliebte, dicke Sportwagen, schwere Goldketten, Alkohol, Spaß.
Es sind Fotos, die für sich sprechen, eine bizarre Dokumentation.
9. November 2013, die Nacht vor dem ersten Einbruch. Online gestellt von Adnan um 01:26 Uhr.
27. November, zwei Tage nach dem letzten Einbruch. Online gestellt von Shkodran um 13:54 Uhr.
12 Dezember, ein Tag bevor die Polizei Shkodran schnappt. Online gestellt von Shkodran um 21:53 Uhr.
Am 2. Dezember lädt Shkodran ein für ihn besonders wichtiges Foto ins Netz. Jahrelang hat er in Albanien von schnellen Autos geschwärmt, jetzt ist es endlich soweit. Von seinen Anteilen aus den ersten Einbrüchen kauft er einem Bekannten Tariks einen BMW 320i ab. Ein Klassiker, 150 PS in der Standartausstattung, in den 90ern sehr beliebt. Shkodran zahlt 3.500 Euro für das Fahrzeug.
Am 13. Dezember brettern Shkodran und Tarik mit dem neuen BMW nach Dortmund. Sie wollen den Wagen auf ein Ausfuhrkennzeichen anmelden, damit Shkodran ihn am Ende der Diebestour nach Albanien überführen kann. Außerdem organisieren sie einen einmonatigen Versicherungsschutz. Alles nach Recht und Ordnung – wäre ja blöd, wenn er wegen eines ehrlich erworbenen Wagens der Polizei auffiele.
Die Formalien in Dortmund sind schnell erledigt, früh kehren Tarik und Shkodran nach Hagen zurück. Dort warten schon Adnan und Arian. Sie wollen heute wieder raus, arbeiten, wie sie sagen. Es soll nach Bonn gehen, nach Dottendorf. Shkodran willigt ein. Noch ahnt er nicht, dass er seinen liebgewonnen BMW an diesem Nachmittag zum letzten Mal fährt.
»Weiter zum nächsten Kapitel: Auf der Flucht | «Zurück zum letzten Kapitel: Die Soko FiestaWährend Shkodran nach der Anmeldung des BMWs mit Adnan und Arian zur nächsten Tour aufbricht, läutet Tarik seinen Feierabend ein. Er kann zufrieden sein, die Einbrüche laufen wie am Schnürchen, als Logistiker der Bande macht er einen guten Schnitt. Darauf ein paar Drinks. Dann klingelt es an der Tür. Sein Neffe, er hat schlechte Nachrichten mitgebracht. Shkodran sei festgenommen worden, sagt er, Adnan und Arian stecken in Dottendorf fest. Der Ford Fiesta, mit dem die Diebe unterwegs waren: konfisziert.
Es ist der erste Warnschuss für das Diebes-Quartett. Die Schlinge der Polizei zieht sich zu. Doch die Albaner bleiben gelassen. Schließlich ist die Saison noch nicht zu Ende und sie haben einen Plan B. Tarik kümmert sich um einen Anwalt, dann ruft er Shkodrans Eltern an.
Arian und Adnan räumen schon drei Tage nach der Festnahme die nächsten Wohnungen leer. Das funktioniert auch zu zweit, geht aber mit drei Mann leichter von der Hand. Ein Anruf in Albanien, 400 Euro für ein Flugticket – und ein paar Tage später zieht der nächste Einbruchslehrling in der Hagener Räuberhöhle ein. Auch Formel 1 Fan Stefan wird nun wieder aktiviert. Die Albaner brauchen sein Auto, für 50 Euro pro Abend plus Tankfüllung leiht er ihnen den Wagen aus.
Doch die Zwischenfälle häufen sich. In Velbert blockieren Polizisten mit ihrem Streifenwagen am 22. Dezember den Opel Corsa von Stefan. Die Männer hechten aus dem Wagen und laufen den Polizisten – trotz Warnschüssen – davon. Eine Woche später haben Kollegen aus Remscheid mehr Erfolg. Wieder hat ein Nachbar die Polizei alarmiert, wieder rennen Adnan und Arian los. Diesmal sprinten die Beamten den Männern hinterher und schnappen einen der Diebe: Arian. Sie bringen ihn aufs Revier.
Einen Tag später, an Silvester, ist er wieder frei. Die Polizisten in Remscheid haben den Mann, der trotz Schengen-Raum-Einreiseverbot in Deutschland Häuser leerräumt, den sie auf frischer Tat erwischt haben, der zwei Paar Manschettenknöpfe, eine Uhr und eine Krawattennadel in seinen Taschen hat, wieder laufen lassen. Ermessensache, sagen Polizisten und Staatsanwälte, wenn man sie zu dem Fall befragt.
In Deutschland, so erzählen sie, sei es so: Um einen Verdächtigen in Haft zu halten, ihn seiner Freiheit zu berauben, brauchen Polizisten und Richter handfeste Beweise gegen ihn. Wenn es die nicht gibt und keine Fluchtgefahr besteht – und die bestand bei Arian nicht, er besaß einen Pass – dann hängt die Entscheidung vom jeweiligen Richter ab. Es gibt Haftrichter, die Verdächtige in solchen Fällen für ein paar Tage festhalten. Andere argumentieren, der Freiheitsentzug sei nicht verhältnismäßig - und lassen die Verdächtigen laufen. Juristisch ist beides okay.
Arian sind solche Überlegungen egal. Es ist Silvester, die Polizei hat ihn gerade nach einem Einbruch laufen lassen, was für ein Glück! Am Abend prostet er Adnan und Tarik in dessen Diskothek zu. Niemanden habe er verraten, prahlt er. Auf die Geschichte des ehrenwerten Diebes stößt auch Leano, der Wohnungsvermieter, mit an. Adnan und Arian wollen ihr Glück nun nicht überstrapazieren, ihr Kumpane Shkodran sitzt noch immer in Haft. Sie beschließen weiterzuziehen, nach Finnland. Dort kennt sie niemand. Dort schöpft bei ein paar Einbrüchen niemand Verdacht.
Am 8. Januar 2014 steigen Arian, Adnan und der neue Mann in einen VW Polo, den haben sie ein paar Tage vorher in Aachen gekauft. Über 2000 Kilometer sind es nach Finnland, sie fahren los. Tarik bleibt in Hagen, er kümmert sich nun von dort um die Diebesbande. Es gibt viel zu tun: Shkodrans BMW ummelden, Anwälte bezahlen, die Familien in Albanien beruhigen. Auch zu Adnan und Arian hält Tarik per SMS Kontakt. Als sich Adnan, Arian und der neue Einbruchslehrling am 11. Januar 2014 in Finnland kurz nach Mittag auf den Weg zur "Arbeit" machen, meldet sich Tarik:
O.k., wenn ihr nach Hause kommt, ruf mich an. Allah soll auf euch aufpassen ha ha.
Wir sind gerade von der Arbeit gekommen, ein wenig Arbeit, uns geht es gut.
Wie sieht die Arbeit bei euch aus? Besser als hier?
Besser. Aber überhaupt kein Geld.
Tagelang schicken sich Tarik und Arian solche SMS – bis die Konversation am 17. Januar abbricht. Tarik sorgt sich um seine Kumpanen, er schreibt: "Hi, was ist los, wieso meldest du dich nicht?" Darauf erhält er keine Antwort mehr. Die finnische Polizei hat Arian, Adnan und ihren Gehilfen geschnappt.
Tarik ist nun der einzige, der vom harten Kern der Bande übrig ist. Von Hagen aus sichert er die Beute, organisiert Anwälte, spricht den Familien der festgenommenen Diebe Mut zu.
Am 7. März, Tarik hat nun seit eineinhalb Monaten nichts von Adnan und Arian gehört, Shkodran sitzt weiterhin in Deutschland in Haft, telefoniert Tarik mit Shkodrans Mutter. Es geht um Shkodrans Anwalt, darum, dass er nicht auf seine Mutter hören wollte:
Shkodrans Mutter: „Ich habe ihn kritisiert und ihn aufgeklärt … Ratschläge haben ihm nicht gefehlt. Sowohl ich als auch sein Vater haben ihm Ratschläge gegeben. Stets haben wir ihm gesagt: Finger weg von solchen Sachen. Es kann dich jemand umbringen, sie können dich ins Gefängnis stecken. Nein, sagte er, auch wenn sie einen ins Gefängnis stecken, bleibt man nicht lange drinnen. Und umbringen tut dich niemand, sagte er. Solche Antworten gab er mir. Jetzt kann ich nichts tun. Ich danke dir, dass du dich um ihn kümmerst.“
Dann geht es um Arian und Adnan.
Shkodrans Mutter: „Weißt du etwas über die anderen zwei? Ich will deren Namen nicht nennen.“
Tarik: „Nein, die anderen zwei sind im Gefängnis.
Shkodrans Mutter: „Das heißt, sie sind nicht freigelassen worden.“
Tarik: „Nein, keine Chance.“
Shkodrans Mutter: „Ja, weil sie viele Probleme hatten. Hoffentlich hilft ihnen Gott. Wer kümmert sich denn um sie?“
Tarik: „Um sie kümmert sich ein Anwalt von dort.“
Shkodrans Mutter: „Aha! Sie sind weit von euch entfernt?“
Tarik: „Weit, von mir sind es 2000 Kilometer Entfernung.“
Shkodrans Mutter: „Ouuu.“
Tarik: „Es ist nicht schlimm, weil ich im Flugzeug dorthin kann. Aber im Moment möchte ich keine Hunde aus dem Schlaf wecken.“
Shkodrans Mutter: „Verstehst du?“
Tarik: „Ich möchte nicht, dass sie sich für hier interessieren. Ob sie auch hier waren und so. Deshalb bin ich nicht dorthin gereist.“
Zwei Tage später, das nächste Telefonat, wieder geht es um Shkodrans Haft:
Tarik: „Sie sind sauer…“
Shkodrans Mutter: „Vielleicht haben sie Erbarmen.“
Tarik: „Sie sind bloß etwas sauer, weil er die Namen der Beteiligten nicht nennt. Verstehst du? Weil die anderen abgehauen sind.“
Shkodrans Mutter: „Aha, ja, normal. Deshalb wird er gefangen gehalten. Um zu sagen, wer alles dabei war. Um die Gruppe zu verraten. Aber es ist gut so, dass er nichts gesagt hat. Weil sonst die Gruppe andere Probleme hätte.“
Tarik: „Nein. Die helfen sich doch gegenseitig. Sie würden sich nie gegenseitig belasten.“
Shkodrans Mutter: „Aha.“
Tarik: „Wenn wir zu zweit sind … wenn man zu zweit etwas macht, ist es nicht so schlimm. Wenn man aber zu dritt ist, dann ist es eine Bande. Verstehst du? In Deutschland nennt man das Bande.“
Shkodrans Mutter lacht.
Tarik: „Ab drei Personen ist es eine Bande.“
Shkodrans Mutter: „Ja, normal, auch hier, überall. Die Gruppe ist … (unverständlich). Aber ich hoffe, dass er nichts gesagt hat. Hat er nichts gesagt, oder weiß er nichts?“
Tarik: „Nein, nein, er hat nichts gesagt. Was soll er auch sagen? Das bringt auch nichts. Verstehst du? […] Weil … sie sagen nichts“
Shkodrans Mutter: „Aha. Normal. Ich hoffe, sie haben diese Maßnahmen getroffen, als sie sich in solchen Dingen eingelassen haben. Hoffentlich haben sie diese Maßnahmen getroffen.“
Tarik: „Ja, ja, sie wissen es.“
Shkodrans Mutter: „Solche Sachen sind nicht ohne. Aber wenn man jung ist, denkt man nicht an alle Sachen. Was soll man machen. Der Shkodran ist jung. Er ist es nicht gewohnt, sich um sich zu kümmern.“
Tarik: „Das Gefängnis hier ist nicht wie das in Albanien. Hier kann man zehn Jahre problemlos überstehen. Man kann fernsehen…“
Shkodrans Mutter: „Shkodran ist es nicht gewöhnt, lange fern von zuhause zu bleiben. Er war höchstens drei Monate in Italien, Deutschland, Frankreich.“
Tarik: „Er hat keine schlechten Freunde. Ich denke, dass er keine schlechten Freunde hat. Sie halten zusammen.“
Shkodrans Mutter: „Nein, aber wenn sie zusammen sind, machen sie alles Mögliche. Und Shkodran ist nicht besser als die Freunde. Und keiner ist verantwortlich für seine Lage. Keinen möchte ich beschuldigen. Denn keiner hat ihn gezwungen, mitzumachen. Er hat das freiwillig gemacht. Wir haben ihm davon abgeraten. Er ist trotzdem gegangen. Und jetzt ist es passiert. Jetzt kann ich nichts machen. Zum Glück hat er niemanden umgebracht. Jetzt geht es um das Gefängnis und darum, wie er da raus kommt. Gut, Tarik, gut. Du weißt besser Bescheid über die Sachen dort. Wir haben dich belästigt. Ich hoffe, du verzeihst uns.
Tarik: „Nein, ihr stört mich nie. Ihr könnt mich jederzeit anrufen.“
Tarik ahnt nicht, dass ihn Kommissar Lange und seine Kollegen zu dieser Zeit längst abhören. Dass sie mit jeder SMS, mit jedem Telefonat ein neues Puzzlestück einsammeln. Dass sich die Schlinge um ihn und seine Kumpanen immer enger zuzieht. Am 26. März stehen Beamte vor den Haustüren von Tarik, Leano und Stefan. Sie haben Durchsuchungsbefehle dabei, sie nehmen die Männer vorläufig fest. Nun geht es darum, ihnen die Taten nachzuweisen. Es geht vor Gericht.
»Zum nächsten Kapitel: Vor Gericht | «Zurück zum letzten Kapitel: Steal hard – play hardDas süße Leben der Diebesbande endet im Frühjahr 2014. Statt Feinschmeckerrestaurant, Thermalbad, Disko und Bordell verbringen die Einbrecher die kommenden Monate in Untersuchungshaft. Während Adnan und Arian noch in Finnland darauf warten, nach Deutschland ausgeliefert zu werden, beginnt für Tarik, Stefan und Leano im November der Prozess 23 Mal bringt der Gefangenentransporter die Männer zum Landgericht Bonn. Im Untergeschoss steigen sie aus. Dann führen Justizbeamte sie in Handschellen nach oben in den Gerichtssaal.
Weil Shkodran erst 22 ist, verhandelt die Jugendkammer den Fall. Vor Richter Wolfgang Schmitz-Justen erfährt die Öffentlichkeit nun erstmals Stück für Stück die Geschichte der Angeklagten. Die ärmlichen Verhältnisse in Albanien. Die Asylanträge in Deutschland. Die ersten Schlägereien in der Disko und die ersten Raubüberfälle auf der Straße. Die Einbrüche in Klubheime von Sportvereinen, um dort Zigaretten zu stehlen. Und schließlich die Mithilfe bei der Einbruchserie, die längst über Bonn hinaus Schlagzeilen machte.
Auf einem Wagen stapeln sich die Akten der Soko Fiesta. Die Polizisten haben 127 Einbrüche ermittelt, bei denen die Bande unter dringendem Tatverdacht steht. 127 Wohnungen in drei Monaten, an manchen Tagen bis zu zehn Brüche auf einmal. Die Ermittler haben GPS-Daten und DNA-Spuren. Handygespräche und jede Menge Beute. Es geht, so viel ist schnell klar, nur noch um die Frage, wie viele der 127 Fälle sich vor Gericht belegen lassen. Denn manchmal, so berichten erfahrene Strafverteidiger hinter vorgehaltener Hand, klagen hoffnungslos überlastete Staatsanwälte Banden auch für Einbrüche an, bei denen sich die Ermittler nicht sicher sind. Hauptsache die Akte kommt endlich vom Tisch.
Die Soko Fiesta hat akribisch ermittelt. 80 Zeugen sagen in der Hauptverhandlung aus. Bei den meisten, so stellt es sich dar, hatte die Bande eingebrochen. Eine Frau verlor den kompletten Familienschmuck im Wert von 70.000 Euro. Andere sind traumatisiert, seit sie zu Hause ihre durchwühlten Schränke und Schubladen vorfanden. Allein eine geschiedene Frau nahm es mit Humor: Ihr stahlen die Einbrecher den alten Ehering.
Am 10. März 2015 erhalten die ersten vier Männer ihr Urteil: Shkodran muss für sieben Jahre ins Gefängnis. Richter Schmitz-Justen ist sicher, dass der Jüngste bei zehn Einbrüchen der Bande dabei war. Tarik bekommt viereinhalb Jahre wegen schweren Bandendiebstahls in drei Fällen und zwei Mal Beihilfe. Stefan, der Deutsche, muss wegen Beihilfe zum Einbruchsdiebstahl in drei Fällen für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Leano, der für 350 Euro im Monat seine Wohnung an die Bande vermietete, kommt mit Bewährung davon.
Für die Opfer ist der Fall mit dem Urteil der Jugendkammer aber längst nicht beendet. Denn noch ist nur ein Bruchteil der Einbruchserie juristisch erledigt. Den in Finnland gefassten Haupttätern, Adnan und Arian, steht ihr Prozess in Bonn erst bevor. Und so müssen viele Zeugen ein zweites Mal im Gericht auftreten.
7. Juni 2016, Landgericht Bonn. Prozessauftakt für Adnan und Arian. Ein Fotograf hält fest, wie Justizbeamte die Angeklagten in Handschellen in den Saal führen. Adnan blickt in die Kamera und streckt die Zunge raus. Der letzte Einbruch der Diebesbande liegt inzwischen zweieinhalb Jahre zurück. Wieder sollen Zeugen in allen Einzelheiten schildern, wie sie damals ihre Wohnung vorfanden. Wieder sollen sie Menschen gegenüber sitzen, die womöglich in ihrem Schlafzimmer Schränke durchwühlt und Schubladen leergeräumt haben.
Roman B. ist einer von ihnen. Und er ist sauer. „Die rollen das doch nur neu auf, damit die Anwälte nochmal abkassieren können“, schimpft der Informatiker, bevor er sich im Saal auf den Zeugenstuhl plumpsen lässt. Zu seiner Linken fläzt sich der kahl rasierte Adnan in seinen Stuhl. Von rechts blickt ihn der Staatsanwalt erwartungsvoll an. Es ist der 14. Prozesstag. Dann schildert der 31-Jährige zum zweiten Mal, wie er an jenem 11. Dezember 2013 nach Hause kam. Wie er seine Schuhe auf dem Boden fand und die Balkontür offen stehen sah.
Wie er feststellte, dass die Münzsammlung fehlte und die beiden 50-Euro-Scheine, die seine Freundin zum Geburtstag bekommen hatte. Der Richter zitiert aus der Akte: „Sachschaden 200 Euro.“ Zeuge B. nickt.
Saskia S. hat es schlimmer erwischt. Die 20-Jährige hatte in einer Blechdose jeden Euro verwahrt, den sie entbehren konnte. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Kindergeld. 1 600 Euro. Für die angehende Einzelhandelskauffrau ein Vermögen. Geld für den Traum vom eigenen Auto. Doch am 24. November 2013 fand sie die Dose plötzlich leer auf ihrem Bett. Die Balkontür war eingeschlagen, die Schubladen herausgerissen. S. bricht in Tränen aus, während sie das alles schildert. Die zierliche Frau mit den dunklen, langen Haaren wird sich wohl niemals wieder sicher fühlen.
Arian gähnt, während seine Opfer ihre Erlebnisse schildern. Nur einmal fährt Leben in den kleinen, durchtrainierten Mann. Beim Vorwurf, er habe ein Paar blaue Adidas-Schuhe mitgenommen, zieht er das Mikrofon an sich heran. Turnschuhe? „Mich interessiert nur Geld, nur Gold.“
So geht das weiter. Mehr als 20 Verhandlungstage lang. Bis zum 13. Oktober 2016. An diesem Tag scheint die tiefstehende Sonne in den Saal S 0.11 des Bonner Landgerichts, wo sich Adnan in Daunenjacke an seinen Platz führen lässt. Arian trägt einen gestreiften Pullover. Beide lächeln sich an. Dann verkündet Richter Josef Janßen vor etwa einem Dutzend Zuschauern sein Urteil.
„Der Angeklagte Adnan ist schuldig des schweren Bandendiebstahls in 40 Fällen, davon acht Fälle versucht, sowie des Wohnungseinbruchsdiebstahls in drei weiteren Fällen.“ Er muss für acht Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Arian bekommt für 38 schwere Bandendiebstähle, acht Versuche und zwei Einbrüche insgesamt acht Jahre und sechs Monate. Während der Richter spricht, murmeln zwei Übersetzer den Tätern ihr Urteil auf Albanisch ins Ohr. Als Adnan seine Strafe hört, dreht er sich in Richtung Publikum, reißt die Augen auf und streckt die Zunge raus.
Nachdem er das Strafmaß verkündet hat, holt Richter Janßen Luft: „Das sind ja schonmal zwei Hausnummern. Man könnte meinen das ist sehr viel“, sagt er. Doch in Anbetracht der vielen Straftaten, die „sehr gut durchorganisiert waren“, komme er zu dem Ergebnis: „Das muss es schon sein. Zusammen mit dem Urteil im ersten Prozess sind nun 80 der 127 angeklagten Fälle verurteilt. 47 Einbrüche ließen sich nicht zweifelsfrei zuordnen." Es dauert fast eine Stunde, bis Janßen alle Einbrüche und Einzelstrafen vorgelesen hat.
Der Richter klingt dabei, als leiere er einen Katalog mit Preisen herunter. „Am 3.12. 2013 geht es nach Bonn. Drei Einbrüche, 18.600. Am 7.12. geht es nach Bonn. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Einbrüche, 11.900. Am 8.12. 2013 nach Neuss und Dormagen. 1930 Euro.“ So geht es immer weiter. „Das sind schon erhebliche Taten“, sagt Janßen. Sein Strafmaß übersteigt sogar die Forderung der Staatsanwaltschaft. Die hatte zwei Mal acht Jahre Haft gefordert.
Adnan und Arian lächeln sich jetzt nicht mehr an. Mit leeren Blicken lauschen sie den Worten ihrer Übersetzer. Die Kammer hätte ja die finanziellen Verhältnisse der Täter berücksichtigt, sagt Richter Janßen. Aber „dann darf man hier nicht in Saus und Braus leben.“ Hätten die Täter ihre Beute zu den armen Familien nach Albanien geschickt, „dann entwickelt man vielleicht Verständnis“. So aber seien es allein „erhebliche Taten“.
Ob Adnan und Arian dafür tatsächlich fast neun Jahre im Knast sitzen, ist nicht gewiss. „Viele dieser Täter“, erklärt einer der Verteidiger, „werden nach der Hälfte der Zeit in ihre Heimat abgeschoben.“ Die deutschen Gefängnisse sind einfach zu voll. Und so ist nicht ausgeschlossen, dass Adnan und Arian schon bald zurückkehren. Mit dem Flugzeug. Am Flughafen Düsseldorf.
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